Bindungsstörung

Bindungsstörung

Wie die Bindung zur Bezugspersonen war, wirkt sich auf das Selbstbewusstsein aus und darauf, wie der Betroffene später im Leben mit Bindungen umgeht.

Bereits in den 1940er Jahren unterschied der Kinderpsychiater und Psychoanalytiker John Bowlby vier Arten von Bindungsverhalten:

  • sicher gebunden
  • unsicher-ambivalent
  • unsicher-vermeidend
  • unsicher-desorganisiert.

Was ist Bindungsverhalten?

Zum genetisch vorgeprägten Bindungsverhalten gehören beobachtbare Verhaltensweisen, die Bindung herstellen sollen, z.B. Lächeln, Schreien, Festklammern, Zur-Mutter-Krabbeln, Suchen der Bezugsperson usw. Bei Wunsch nach Nähe oder in Alarmsituationen (Unwohlsein, Schmerz, Angst, zu große Distanz zur Bezugsperson) versucht das Kind also, Nähe zur Bezugsperson herzustellen. Wenn das Kind sich durch Blickkontakt oder körperlichen Kontakt wieder sicher fühlt, wird es neugierig und erkundet die Welt.

Das Kind pendelt also immer zwischen Bindung und Autonomie hin und her – wenn beide Bedürfnisse bis ca. zum sechsten Lebensjahr ausgewogen erfüllt wurde, kann der Mensch sich später in sich selbst sicher fühlen und Bindungen eingehen, Vertrauen entwickeln und Erfolg haben.

Sichere Bindung:

Eine sichere Bindung entsteht, wenn die Bezugsperson für das Kind im Wesentlichen verfügbar ist, es viel anlächelt bzw. viel Blickkontakt mit ihm hat, mit ihm schmust und es tröstet, wenn es Schmerz oder Angst erlebt. Das Kind hat Vertrauen in die Verfügbarkeit der Bezugsperson, und diese reagiert unmittelbar auf die kindlichen Signale und interpretiert sie auch zutreffend, so dass das Kind nicht stark frustriert wird.

In einer fremden Situation weinen sicher gebundene Kinder zwar, aber sie akzeptieren Trost einer Fremden und vertrauen darauf, dass die Bezugsperson wiederkommt. Wenn sie zurückkommt, freuen sich die Kinder, suchen Kontakt, wenden sich aber kurz danach wieder ihrem Spiel zu.

Unsicher-ambivalente Bindung:

Unsicher-ambivalent gebundene Kinder sind ängstlich und abhängig von ihrer Bezugsperson, weil diese für das Kind nicht nachvollziehbar und vorhersagbar reagiert, sondern unberechenbar ist. Wenn das Kind nicht einschätzen kann, „wie die Mutter drauf ist“ (vielleicht ist sie mal feinfühlig, dann wieder abweisend), ist das Bindungssystem des Kindes ständig aktiviert. Das Kind ist immer beschäftigt, herauszufinden, was die Bezugsperson will und braucht, damit es sich entsprechend verhalten kann. Wenn die Bezugsperson weggeht, haben diese Kinder enormen Stress. Sie fürchten ungewohnte Situationen, und daher wird ihr Bindungsverhalten von Beginn an aktiviert. Wenn die Bezugsperson oft nicht verfügbar ist (oftmals auch nicht, wenn sie im selben Raum ist), kann ein solches Kind nicht angemessen neugierig sein auf die Welt und erwartet keine positive Entwicklung der Situation und ist sehr gestresst. Wenn es keine anderen Vorbilder hat, passt es sich im Verhalten an, wird also ebenfalls unberechenbar und gestresst und entwickelt ein negatives Selbstbild.

Unsicher-vermeidende Bindung:

Auch unsicher-vermeidenden Kindern fehlt die Zuversicht bezüglich der Verfügbarkeit ihrer Bezugsperson, aber anders als die unsicher-ambivalent gebundenen Kinder rechnen sie damit, dass ihre Wünsche grundsätzlich auf Ablehnung stoßen und zurückgewiesen werden. Beziehungsvermeidung erscheint dann als der einzige Ausweg.

Wenn unsicher-vermeidende Kinder von der Bezugsperson allein gelassen werden, reagieren sie scheinbar unbeeindruckt (also „brav“), aber in Untersuchungen wurde festgestellt, dass ihr Cortisolspiegel höher ansteigt, wenn die Bezugsperson fortgeht, als bei sicher gebundenen Kindern. Kommt die Bezugsperson zurück, wird sie ignoriert. Das Kind lernt, dass es seine Gefühle nicht zeigen darf, um Angst zu vermeiden. Wenn es erwachsen ist, hat es häufig Probleme, Beziehungen einzugehen. Auch sein Selbstbild ist eher negativ.

Unsicher-desorganisierte Bindung:

Diese Bindungsstörung wurde erst später entdeckt und ist schwerer zu klassifizieren. Sie entsteht z.B. in Missbrauchssituationen, wenn die Bezugsperson gleichzeitig der Auslöser für das Bindungsverhalten ist, als auch selbst eine Bedrohung darstellt. Aber auch wenn die Bezugspersonen selbst unter unbewältigten Traumata leiden, kann dieses Bindungsverhalten entstehen. Wenn ein Kind im Gesicht seiner Mutter Angst sieht, weil diese unter Intrusionen leidet (=hartnäckiges Eindringen von den traumatischen Bildern und Gefühlen in die Gedanken/Vorstellungen), ist die Ursache der Angst für das Kind nicht nachvollziehbar und löst sein Bindungssystem aus. Aber wenn die Mutter stark traumatisiert ist, kann sie nicht adäquat reagieren, um das Kind zu regulieren.

Das Kind erlebt die Welt daher ständig als bedrohlichen Ort. Sie wollen sich binden und auch wieder nicht. Dies zeigt sich z.B. in unerwarteten Verhaltensweisen, wie z.B. unvollendeten Bewegungsmustern, oder sie drehen sich im Kreis oder lassen sich auf den Boden fallen, wenn sie sich der Bezugsperson nähern. Auch ihr Selbstbild ist negativ und sie haben später im Leben Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen.